Antivirale Proteine unserer Vorfahren als möglicher Infektionsschutz

Von Gina Wynn.

Wir verdanken unseren Vorfahren viele unserer körperlichen Merkmale wie Augenfarbe, Größe und Erscheinungsbild. Nun könnte auch noch Immunität gegen bestimmte Virusinfektionen zu dieser Liste hinzukommen, wie eine neue Studie der Cornell University nahelegt.

Bei Laboruntersuchungen an kultivierten menschlichen Zellen konnten Forscher eine Weitergabe alter Viren-DNA von unseren Vorfahren feststellen. Diese humanen endogenen Retroviren (HERV) könnten auch Immunität vor modernen Viren bieten, indem sie ein Eindringen in die potentielle Wirtszelle verhindern. Ältere Studien konnten diesen Effekt bereits bei Mäusen, Hühnern, Katzen, Schafen und Primaten nachweisen.

„Die Ergebnisse belegen, dass im menschlichen Genom eine Reihe von Proteinen vorliegt, die das Potential besitzen, ein breites Spektrum an Viren abzublocken“, erklärt Cédric Feschotte, Mitglied des Forschungsteams und Professor für Molekularbiologie und Genetik an der Cornell University, im Artikel „Ancient viral DNA in human genome guards against infections“ im Cornell Chronicle.

Einer von Feschottes ehemaligen Studenten, Dr. John Frank, der nun als Postdoc an der Yale University tätig ist, war Hauptinitiator der Studie. Die Ergebnisse der Forschungsgruppe wurden im Artikel „Evolution and Antiviral Activity of a Human Protein of Retroviral Origin“ in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Ein Pool schützender Proteine

Weitere Forschung in diesem Bereich könnte zur Identifizierung antiviraler Proteine und zur Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten ohne autoimmune Nebenwirkungen beitragen. Da die Proteine bereits in der menschlichen DNA enthalten sind, werden sie vom Körper nicht als Fremdproteine erkannt und lösen keine Immunreaktion aus.

Rund acht Prozent der DNA im menschlichen Genom bestehen aus HERV, also mindestens das Vierfache der für die Codierung von Proteinen zuständigen DNA in den Genen. Unser Genom könnte demnach ein umfangreiches Abwehrsystem beherbergen, was eine große Bedeutung für die Gesundheitsversorgung haben könnte.

Eintritt ins Genom

In der Form von Proviren sind Viren in der Lage, ihre RNA in eine Wirtszelle einzubringen, wo diese in DNA umgewandelt und in das Genom der Zelle integriert wird. Die infizierte Zelle befolgt dann die genetischen Anweisungen des Virus zur Replikation. Ist dies bei Keim- oder Fortpflanzungszellen der Fall, geht die virale DNA als permanenter Bestandteil in den genetischen Code ein und wird über Generationen weitervererbt.

HERV sind Überreste von Viren, die bereits vor Millionen Jahren im menschlichen Genom verankert wurden. Sie sind Zeuge zahlloser Pandemien, denen die Menschheit im Lauf der Geschichte ausgesetzt war. Laut dem Artikel „How the Ancient Viral DNA in Our Genome Affects Disease and Development“ von Aidan Burn in Scientific American gehen Wissenschaftler davon aus, dass diese Viren bei frühen Menschenpopulationen weit verbreitet waren, da sie auch im Genom von Schimpansen, Gorillas und anderen Primaten zu finden sind.

„Die Ergebnisse belegen, dass im menschlichen Genom eine Reihe von Proteinen vorliegt, die das Potential besitzen, ein breites Spektrum an Viren abzublocken.“

Der Schlüssel zum Eintritt

Zum Eintritt in die Zelle muss das Virus erst von einer Virushülle oder einem Spike-Protein eingelassen werden. Das Hüllprotein bindet an einen Rezeptor an der Zelloberfläche und öffnet damit ähnlich wie ein Schlüssel die Zelle, um das Virus aufzunehmen. Für ihre Studie scannten Frank und sein Team mit Hilfe von Computer-Genomik das menschliche Genom nach viralen Hüllproteinen, die sie untersuchen konnten.

Nach der Katalogisierung potentieller retroviraler Hüllprotein-codierender Sequenzen, die für eine Rezeptorbindung in Frage kamen, identifizierten sie Gene mit aktiver Expression retroviraler Virushüllen-Genprodukte. Das Team fand deutliche Hinweise auf eine Expression in frühen Embryo- und Keimzellen. Sie bemerkten auch eine Untergruppe von antiviralen Proteinen, die bei einer Infektion von Immunzellen exprimiert werden.

Tests mit Suppressyn

Um die Anfälligkeit verschiedener Zelltypen für Virusinfektionen zu testen, konzentrierte sich die Gruppe auf Suppressyn (SUPYN), ein antivirales Hüllprotein, das den Rezeptor ASCT2 (Alanin-Serin-Cystein-Transporter 2) bindet. SUPYN kommt bereits in sehr frühen Embryonalzellen und Plazentazellen des Menschen vor, und ASCT2 ist die Eintrittspforte in die Zelle für Retroviren des Typs D.

Da Plazentazellen häufig von Viren angegriffen werden, setzten Frank und seine Kollegen im Versuch Zellen, die menschlichen Plazentazellen ähnlich waren, dem Typ-D-Retrovirus RD114 aus, das normalerweise Hauskatzen und andere Katzen befällt. Obwohl andere menschliche Zelltypen ohne SUPYN-Expression einfach zu infizieren waren, wurden Plazentazellen und embryonale Stammzellen mit SUPYN-Expression nicht vom Virus befallen. Als das Team SUPYN aus den Zellen entfernte, kam es zu einer RD114-Infektion, und bei erneuter Zugabe von SUPYN kehrte die Virusresistenz zurück.

Frank und seine Kollegen gingen in ihrem Experiment noch einen Schritt weiter und setzten SUPYN in embryonale Nierenzellen ein, die normalerweise kein SUPYN exprimieren. Normalerweise sind solche Zellen anfällig für RD114, mit dem zusätzlichen SUPYN waren sie jedoch gegen das Virus resistent.

Einblicke ins Infektionsgeschehen

Die Ergebnisse des Versuchs zeigen, wie ein menschliches retrovirales Protein Viren durch antivirale Hüllproteine, die Zellrezeptoren blockieren, den Eintritt in die Zelle verwehren kann. Sie liefern somit Kenntnisse darüber, wie alte Retroviren im menschlichen Genom möglicherweise Embryos in der Entwicklung vor Infektionen durch verwandte Viren schützen können. Laut dem Artikel im Cornell Chronicle hofft Feschotte, noch weitere Proteine der Virushülle im menschlichen Genom untersuchen zu können, um herauszufinden, ob sie eine ähnlich antivirale Wirkung auf Zellen haben.

Hüllproteine im Fokus

Bei einer ähnlichen Studie im Jahr 2017 schufen Forscher ein Hüllprotein, mit dessen Hilfe das HERV-T-Virus durch Bindung an den MCT1-Rezeptor (Monocarboxylat-Transporter 1) menschliche Zellen befallen konnte. Dr. Daniel Blanco-Melo von der Rockefeller University in New York und seine Kollegen veröffentlichten ihre Ergebnisse im Artikel „Co-option of an endogenous retrovirus envelope for host defense in hominid ancestors“ in eLife.

Das HERV-T-Retrovirus kursierte etwa 25 Millionen Jahre lang unter unseren Primaten-Vorfahren und ist seit rund 11 Millionen Jahren ausgestorben. Durch eine Analyse der genetischen Reste von HERV-T im Genom von Menschen und verwandten Primaten gelang dem Team eine Rekonstruktion des Hüllproteins ancHTenv.

Die Untersuchungen der Gruppe zeigten, dass das HERV-T-Provirus in den Genomen von Hominiden ein env-Gen (hsaHTenv) hinterließ, das auf einzigartige Weise erhalten blieb. Bei näherer Betrachtung wurde festgestellt, dass hsaHTenv zu einer Depletion des MCT1-Rezeptors geführt hatte. Da MCT1 nicht mit dem ancHTenv-Hüllprotein interagieren konnte, konnte HERV-T nicht in die Zellen gelangen und diese infizieren. Auch diese Erkenntnis macht deutlich, wie wichtig das Verhältnis zwischen Hüllprotein und Rezeptor bei der Virusübertragung ist.

Unterstützung durch unsere Vorfahren

Beide genannten Studien konnten wirkungsvoll nachweisen, dass virale Hüllproteine und die dazugehörige Rezeptoren für HERV in der DNA unserer Vorfahren die Immunität gegenüber alten Virusvarianten beeinflussen. Die Ergebnisse beider Untersuchungen machen deutlich, dass ein Fehlen entweder der Virushülle oder des Rezeptors das Virus am Eindringen in die Zelle und seiner Reproduktion hindert.

Diese Erkenntnisse haben eine große Bedeutung für die Erforschung und Entwicklung von Behandlungsmethoden für Viruserkrankungen durch HIV oder andere Viren, die sich in die DNA der Wirtszelle einbauen, sowie für bestimmte Krebsarten und mögliche künftige Pandemien.

Gina Wynn ist Autorin bei Thermo Fisher Scientific.

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